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Potenziale der Mensch-Technik-Interaktion

19.04.2021

Aufgabengerechte Human Machine Interfaces (HMI) Gestaltung im Prozess - Das HMI als Mediator zwischen Mensch und Maschine

Carola K. Herbst, Projektleiterin Fachzentrum Lebensmittel der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), führte das Interview mit Paul Weber, Leiter des Teams Assistenzsysteme des Fraunhofer-Instituts.

Paul Weber, Team Assistenzsysteme Fraunhofer-Instituts

Paul Weber, der Leiter des Teams Assistenzsysteme des Fraunhofer-Instituts, Quelle: Fraunhofer Institut

Das Team Assistenzsysteme am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV erforscht und entwickelt kognitive Assistenzsysteme für das Bedienpersonal von Verarbeitungs- und Verpackungsmaschinen in der Lebensmittelproduktion. Diese Systeme kombinieren menschliches Erfahrungswissen mit Künstlicher Intelligenz und leisten einen erheblichen Beitrag zur Steigerung der Prozesseffizienz in der Produktion. Einen wesentlichen Schwerpunkt bei der Konzeptionierung derartiger Systeme bildet ihre aufgaben- und zielgruppengerechte Gestaltung. Dafür angewandte und erprobte psychologische Prinzipien und Methoden sind genauso auf die allgemeine Gestaltung und Strukturierung der Informationsgehalte klassischer Bedienpanels von Maschinen zu übertragen. Im Folgenden wird Paul Weber, der Leiter des Teams Assistenzsysteme des Fraunhofer-Instituts, einige spannende Einblicke in die aufgabengerechte Gestaltung sogenannter HMIs (Human Machine Interfaces, engl. für Mensch-Maschine-Schnittstellen) geben und Vorzüge dieser darlegen.

Welche Rolle spielt der Mensch in hochautomatisierten Produktionsprozessen?

Verarbeitungsmaschinen und -anlagen in der Produktion weisen einen immer höher werdenden Automatisierungsgrad auf, der Maschinenbedienende immer mehr von aktiv Handelnden zu passiven Beobachtern macht. Aktiv handeln muss der Mensch nur noch in Problemsituationen und diese kommen bei der maschinellen Verarbeitung und Verpackung von Lebensmitteln sehr häufig vor. Die Erfahrungswerte des Forschungsteams des Fraunhofer IVV in Dresden beruhen auf durchgeführten Betriebsdatenanalysen und zeigen eine durchschnittliche ungeplante Stillstandszeit von fast 30 % der Maschinenarbeitszeit, die auf aufgetretene Störungen zurückzuführen ist. Zur effizienten Bewältigung derartiger Störsituationen benötigt das Bedienpersonal tiefgreifendes Wissen über die maschinellen Prozesse und ihre Zusammenhänge. Korrelationen mit den häufig volatilen Eigenschaften der verarbeiteten Packgüter und Packstoffe sowie den Umgebungsbedingungen sind ebenso zu berücksichtigen. Ist dieses Erfahrungswissen nur gering oder nur bei einzelnen Personen ausgeprägt, erschwert dies die Störungsdiagose. Infolgedessen werden Störungen nicht effizient und nachhaltig behoben. Neben wertvoller Zeit für die Produktion von qualitätsgerechten Ausgangsgütern gehen auch Ressourcen, wie Packstoffe und Packgüter, als Ausschuss verloren.

Wie kann das Bedienpersonal bei der Bewältigung dieser Aufgabe unterstützt werden?

Grundlegend sollte allen Bedienenden bedarfsgerecht notwendige Informationen und notwendiges Wissen bereitgestellt werden, sodass sie entweder wissen was beim Auftreten kritischer Situationen zu tun ist oder aber, dass sie derartige Situationen bereits vorhersehen und entsprechend intervenieren können. Diese Bereitstellung kann durch verschiedene Möglichkeiten gewährleistet werden. Die Implementierung und Etablierung von Assistenzsystemen und geeigneten Qualifizierungsmaßnahmen sind mögliche Optionen, die wir am Institutsteil Verarbeitungstechnik in Forschungsprojekten untersuchen und entwickeln. Sie sind jedoch mit einem höheren Aufwand verbunden, als eine dritte mögliche Unterstützungsidee, die wir aufgrund des geringeren Umsetzungsaufwandes als „Low hanging fruit“ bezeichnen. Ganz konkret handelt es sich dabei um die aufgabengerechte Gestaltung von Bedienpanels an Maschinen, sog. HMIs. Die Gestaltung und Strukturierung dieser ist aktuell zumeist nicht an die Bedürfnisse des Bedienpersonals und seine Arbeitsaufgaben angepasst. Sie bieten demnach meist nur ein unzureichendes Informationsangebot für bspw. die Unterstützung einer effizienten Störungsdiagnose. Stellt man nun die Aufgaben und Ansprüche des Bedienpersonals bei der Gestaltung eines solchen Bedienpanels zielgerichtet in den Fokus, kann es relativ aufwandsarm gelingen, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und die Gesamtanlageneffizienz zu steigern.

HMI Design neu gedacht. Quelle: Fraunhofer Institut

HMI Design neu gedacht. Quelle: Fraunhofer Institut

Wie kann man sich denn eigentlich ein aufgabengerecht gestaltetes HMI vorstellen und welche Prinzipien und Methoden sind denn für die Gestaltung einer solchen Bedienoberfläche anzuwenden?

Ein effizienter Maschinenbetrieb als Folge der zufriedenstellenden Arbeitserledigung kann gefördert werden, indem relevante Prozessdaten, Wissen und geeignete Visualisierungsmöglichkeiten in einem nutzer- und aufgabenorientierten HMI-Konzept verbunden werden. Entlang der Produktionskette können somit notwendige Informationen für die Beurteilung des Maschinenzustandes und die Störungsdiagnose und -behebung im Rahmen eines logisch konsistenten HMI-Konzeptes in angemessenem Detailgrad bereitgestellt werden. Dabei empfiehlt es sich ganz besonders, psychologische Grundsätze der Mensch-Maschine Interaktion zu berücksichtigen. Beispielhaft können hier das Representation Aiding und Prinzipien des Ecological Interface Design genannt werden. Representation Aiding unterstützt bei der Entscheidungsfindung in kritischen Situation, indem es das Finden und Integrieren relevanter Informationen durch an die menschliche Wahrnehmung angepasste grafische Aufbereitung der Informationen unterstützt. Ecological Interface Design hat zum Ziel, die Relationen innerhalb eines Systems grafisch abzubilden, um dem Nutzenden die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen und deren Konsequenzen aufzuzeigen. Bisher werden diese und weitere psychologische Konzepte bei der Erstellung aktueller HMIs nur selten berücksichtigt, da dieses Wissen nicht bekannt ist und in allgemeinen Richtlinien zur HMI-Konzeption kaum Erwähnung findet. Am Fraunhofer IVV haben wir deshalb unser Know-how in den Bereichen Digitalisierung und Maschinenbau erweitert und lassen Erkenntnisse unseres Ingenieur-Psychologen-Teams in unsere Entwicklungen einfließen.

Durch Erkenntnisse der Ingenieurpsychologie wird die funktionelle Lücke zwischen erfassten Daten und anwenderorientiertem Design geschlossen. Quelle: Fraunhofer Institut

Durch Erkenntnisse der Ingenieurpsychologie wird die funktionelle Lücke zwischen erfassten Daten und anwenderorientiertem Design geschlossen. Quelle: Fraunhofer Institut

Wie setze ich das dann nun in der Praxis um? Wie komme ich an das notwendige Wissen?

Bestehende Erkenntnisse zur aufgabengerechten HMI-Gestaltung stammen ursprünglich aus Domänen wie der Luftfahrt oder der Medizin. Für Maschinenherstellende der Lebensmittelverarbeitungs- und -verpackungsindustrie, so auch in der Süßwaren- und Snackbranche, haben sich bisher leider keine einfach anwendbaren Orientierungshilfen herausgebildet, die Entwickelnde bei der aufgabenrechten Gestaltung der HMIs unterstützen. Wir haben es uns daher zur Aufgabe gemacht, mit unseren Kompetenzen aus dem Bereich der Ingenieurpsychologie gezielt zu unterstützten. Unter anderem analysieren wir für interessierte Kunden ihre bestehenden HMIs und zeigen darauffolgend spezifisches Optimierungspotential auf, indem wir neue angepasste Gestaltungskonzepte entwickeln. Dabei haben wir selbstverständlich immer den Menschen in der Produktion und seine Anforderungen im Fokus. Zudem vermitteln wir unsere Expertise im Rahmen von Workshops für Entwickelnde. Neben den psychologischen Grundlagen, die beispielhaft erläutert werden, wird in einzelnen Workshop-Gruppen gemeinsamen an Fallbeispielen gearbeitet, um das Erlernte direkt praktisch erproben zu können. Mit dieser Unterstützung sollen Teilnehmende dazu befähigt werden, künftig selbst HMIs aufgabengerecht gestalten zu können.